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Ein Satz der sich sagt wie ein Raum

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Mir gegenüber wohnte Roland, der in einer Band sang, die ich nie verstand. Wir bestellten manchmal zusammen bei jarmusic Cassetten und Platten,  so konnten wir die Portokosten teilen. Wir hatten kaum Geld und orderten cheapos. Roland träumte davon zusammen mit mir eine Firma zu gründen, die auch Platten vertrieb: Rolafra, aber er nahm viel zu viele Drogen um je in dieser Richtung weiterzukommen.

Irgendwie war es schick, sich zugrunde zu richten. Dazu gehörten Soundtracks, die im Kopf eine Spirale der Einsamkeit losstießen und schließlich in Erschöpfung und Schlaf endeten. Wenn überhaupt. Die Nacht war für den Rausch da und Aufwachen etwas für später. Und es gab ja so viele Sorten von Rausch. Jede Musik hatte ihren eigenen Rausch, jede Begegnung war ein Märchen mit offenem Ende.

I’m dead aus Essex hatten eine selbstproduzierte Single herausgebracht und jarmusic = Joachim Reinbold, der seltsam kompetente Beziehungen in die britische Independentszene hatte, lieferte. Die B-Seite war ein boshafter Track mit dem Namen „the sentence“ – fatal und dramatisch. Zuerst gibt es ziemlich plumpe Synthwinde, abgelöst von verhallten Gitarrenakkorden und –tönen, die dann fest ein monotoner Baßlauf umrahmt. Schließlich singt jemand, der nicht singen kann, aber dem Mikrophon vertraut. Alles klingt unsauber und planlos, aber genau das gibt Weite. Eine Art Session ohne eine exaktere Formel als dem Recht hier zu sein mit Geräusch und Dasein, Gitarre und Gesang.

Ich erinnere mich, das Lied lief bei Roland und hallte aus einem schäbigen Wohnzimmerregal, wir starrten in sein Aquarium und er verdrehte theatralisch die Augen als kippe er jeden Moment hinüber in irgendeine Psychose. Aber ich ließ ihn mit einem Lächeln merken, daß ich sein Schauspiel gut fand und plötzlich lachten wir lauthals los und „the sentence“ lag darunter begraben wie eine Plattitüde.

Die Single von 1983 ist heute in England recht gesucht. Von I’m dead ist kaum mehr erschienen (auf der Coverrückseite ist von einer Demo-Cassette die Rede mit 6 Tracks, aber so gut wie niemand hat sie oder kennt sie – auch nicht Fritz die Spinne; aber in seinem Besitz ist ein Tape mit 11 tracks, und dort hörbar auch ein Bonustrack, der angeblich als Beitrag auf einer Compilation-Cassette erschien: „Dreaming in the House of shadows“).

Keith Goldhanger hatte zwar Unterstützung an den Instrumenten, aber im Prinzip war es ein Solopojekt und das Grim Humour Fanzine brachte 1984 in 1000er Auflage noch eine Split-Flexi zusammen mit den Epidemic heraus, eine Punk Band aus Canterbury, deren Gründer Patrick Murphy heute Gothic-Rock Outfits verkauft.

Die nächsten releases des Goldhanger Labels erschienen Jahre später. Keith Goldhanger, der eigentlich Keith Chapman hieß, gründete dann zusammen mit seinem Bruder Paul die Band Bastard Kestrel und deren 7“ Ep „Cor Trance“ stößt 1988 auf sehr viel mehr Interesse als I’m dead. Nicht zuletzt weil John Peel auf die Band aufmerksam wird und aufmerksam macht. Eine weitere Single stolpert rasch hinterher, die den Song „Stretch“ und zwei Kapitel auswirft. Nach dieser dritten 7“ beendet Keith die Aktivitäten rund um das zu 100 % selbstgestrickte Goldhanger Label.

Written by kapuzimann

Januar 24, 2010 at 8:00 am