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Archive for Januar 2010

Ein Satz der sich sagt wie ein Raum

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Mir gegenüber wohnte Roland, der in einer Band sang, die ich nie verstand. Wir bestellten manchmal zusammen bei jarmusic Cassetten und Platten,  so konnten wir die Portokosten teilen. Wir hatten kaum Geld und orderten cheapos. Roland träumte davon zusammen mit mir eine Firma zu gründen, die auch Platten vertrieb: Rolafra, aber er nahm viel zu viele Drogen um je in dieser Richtung weiterzukommen.

Irgendwie war es schick, sich zugrunde zu richten. Dazu gehörten Soundtracks, die im Kopf eine Spirale der Einsamkeit losstießen und schließlich in Erschöpfung und Schlaf endeten. Wenn überhaupt. Die Nacht war für den Rausch da und Aufwachen etwas für später. Und es gab ja so viele Sorten von Rausch. Jede Musik hatte ihren eigenen Rausch, jede Begegnung war ein Märchen mit offenem Ende.

I’m dead aus Essex hatten eine selbstproduzierte Single herausgebracht und jarmusic = Joachim Reinbold, der seltsam kompetente Beziehungen in die britische Independentszene hatte, lieferte. Die B-Seite war ein boshafter Track mit dem Namen „the sentence“ – fatal und dramatisch. Zuerst gibt es ziemlich plumpe Synthwinde, abgelöst von verhallten Gitarrenakkorden und –tönen, die dann fest ein monotoner Baßlauf umrahmt. Schließlich singt jemand, der nicht singen kann, aber dem Mikrophon vertraut. Alles klingt unsauber und planlos, aber genau das gibt Weite. Eine Art Session ohne eine exaktere Formel als dem Recht hier zu sein mit Geräusch und Dasein, Gitarre und Gesang.

Ich erinnere mich, das Lied lief bei Roland und hallte aus einem schäbigen Wohnzimmerregal, wir starrten in sein Aquarium und er verdrehte theatralisch die Augen als kippe er jeden Moment hinüber in irgendeine Psychose. Aber ich ließ ihn mit einem Lächeln merken, daß ich sein Schauspiel gut fand und plötzlich lachten wir lauthals los und „the sentence“ lag darunter begraben wie eine Plattitüde.

Die Single von 1983 ist heute in England recht gesucht. Von I’m dead ist kaum mehr erschienen (auf der Coverrückseite ist von einer Demo-Cassette die Rede mit 6 Tracks, aber so gut wie niemand hat sie oder kennt sie – auch nicht Fritz die Spinne; aber in seinem Besitz ist ein Tape mit 11 tracks, und dort hörbar auch ein Bonustrack, der angeblich als Beitrag auf einer Compilation-Cassette erschien: „Dreaming in the House of shadows“).

Keith Goldhanger hatte zwar Unterstützung an den Instrumenten, aber im Prinzip war es ein Solopojekt und das Grim Humour Fanzine brachte 1984 in 1000er Auflage noch eine Split-Flexi zusammen mit den Epidemic heraus, eine Punk Band aus Canterbury, deren Gründer Patrick Murphy heute Gothic-Rock Outfits verkauft.

Die nächsten releases des Goldhanger Labels erschienen Jahre später. Keith Goldhanger, der eigentlich Keith Chapman hieß, gründete dann zusammen mit seinem Bruder Paul die Band Bastard Kestrel und deren 7“ Ep „Cor Trance“ stößt 1988 auf sehr viel mehr Interesse als I’m dead. Nicht zuletzt weil John Peel auf die Band aufmerksam wird und aufmerksam macht. Eine weitere Single stolpert rasch hinterher, die den Song „Stretch“ und zwei Kapitel auswirft. Nach dieser dritten 7“ beendet Keith die Aktivitäten rund um das zu 100 % selbstgestrickte Goldhanger Label.

Written by kapuzimann

Januar 24, 2010 at 8:00 am

Kairo und dann lieber Montreal

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Karim Shukry - Take me home to Cairo

Ägypten – das war ein Land in das ich immer reisen wollte. Nicht der Kultur wegen, Nil, Pyramiden und das alles – nein, ich dachte an die Straßen von Kairo, an blökende Mopeds und Cafés aus denen laute Radios krumme Rhythmen blechern trommeln. Kairo muß eine Metropole sein, die heimlich das enthält, was einmal Ägypten war, in jedem Minztee und jedem Mokka und jeder Story, die der eine dem anderen ausschmückt wie einen gedeckten Tisch. Irgendwie muß alles Menschsein stellvertretend dort vor sich hin kochen, dachte ich, Armut und Reichtum Tür an Tür, Wahrheit und esoterischer Glaube. Einmal hatte ich ein Visa für das Land (als man noch Reisepässe und Visas brauchte), aber es gelang mir nicht anzukommen.

Jedenfalls zögerte ich keinen Moment, als ich in einer Flohmarktkiste eine Single fand, auf der in großen gelben Lettern „Cairo“ stand, stilisierte Häuser duckten sich weiß in den Hintergrund und ein trauriger Silberblick flehte über das Cover hinaus: „Take me back to Cairo“. Karim Shukry nannte sich der Interpret und darunter tauchte auf dem Cover auch der Name des Komponisten auf: Andre Ryder.

Der Song erschien 1961 und ist ein Mix aus hüpfenden arabischen Flöten und Trommeln und westlichen Melodien auf dumpfen Bigbandteppichen; arabische Frauen singen und trällern dazwischen – auf arabisch – und treiben das Ganze in ein swingendes Multi-Bekenntnis. Er war seinerzeit sehr erfolgreich im Nahen und Mittleren Osten, weil er Ohrwurmqualitäten hat und eine sympathisch vibrierende Stimme.

Der Song wurde wiederbelebt von Samir El Eskandarany, als er auf einem Album in den achtziger Jahren arabische Oldies neu aufnahm und vermischte mit modernern Pop-Elementen und er sich vor allem mit Karim Shukrys Song  in neuem Gewand in die Herzen der Hörer spielte.

Von Shukry weiß man im Allgemeinen nicht viel. Das rührt daher, daß der Name lediglich ein Pseudonym war für Jean Zaloum, der schon ab dem frühen Alter von 16 Jahren bei Metro Goldwyn Mayer in Cairo arbeitete und später viele wichtige westliche Filme in Äygpten begleitete, meist die Public Relations übernahm, bspw. für „Das Tal der Könige“.

Er ging bald nach dem Erfolg seiner Single nach Canada, nach Montreal, um dort als Filmproduzent sich einen Namen zu machen. „Karim Shukry“ war also nur eine kleine Episode im Leben von Jean Zaloum, das sich von Jugend an eigentlich immer mehr um den Film als um die Musik gedreht hatte.

Es ist jetzt nicht mehr überraschend, daß hinter Andre Ryder ein Filmmusik-Komponist steckt, der vor allem in den 50er und 60er Jahren für ägyptische Filme komponierte und darüber hinaus: die ägyptische Nationalhymne.

Die vorliegende Platte ist erschienen auf dem Label Mirtouche und ist zumindest hierzulande sehr selten (und es sieht so aus, daß es die einzige Veröffentlichung des Labels blieb). Die B-Seite ist ein durch und durch westlich geprägter Sinatra Verschnitt, der sich natürlich um die Liebe dreht.  „You make me surrender if you say you’re mine“ – Shukry singt das nicht schlecht nicht gut. Es plätschert so hin an die Bar. In der ich in meinen Gedanken auch schon in Kairo war.

Written by kapuzimann

Januar 22, 2010 at 10:19 pm

Das Idol kriecht auf den Thron um zu zerbrechen

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Es ist nicht schön ein Idol zu sein – ganz und gar nicht. Herhalten zu müssen für die Sehnsucht der anderen und sich in irgendeine fixe Idee verspinnen, damit andere daran glauben können. Sich die Identitäten wie eine Schminke auftragen, die man als solche nicht sieht. Oder eine Schminke, die jeder sieht und trotzdem für das einzig Wahre hält. Egal wie, das Idol ist ein armes Schwein, das nicht mehr wegkommt vom Kult und dem niemand mehr begegnet, wie man einem Menschen begegnet.

Am schlimmsten ist es, wenn selbst das Zerbrechen daran, das Versickern in der Lüge des Ruhms und der dunklen Weichheit der übrig gebliebenen Wahrheit, erst Recht den Kult weiterträgt und nicht einmal ein Schuß aus der Flinte irgend etwas davon beenden kann.

In etwa darum geht ein Song von Jacques Dutronc, zu dem sein kongenialer Texter Jacques Lanzmann Sätze findet wie „Ils vont me tuer / Je vais crever / Tous ils m’exploitent / Jusqu’à me battre“. „L’idole (je n’en peux plus)“ erschien auf der Rückseite der EP « J’aime les filles » 1967 auf dem franzöischen Label VOGUE (EPL 8536). Ich weiß nicht mehr, wie ich in den Besitz dieser Platte kam, aber sie war ab der ersten Sekunde ein Ereignis. Das ist schräger Beat und lakonischer Sprechgesang, das ist Pop und trotzdem schmutzig. Auch das „j’ai tout lu, tout vu, tout bu“, der zweite Titel der A-Seite, hat ungeheuer viel seelischen Rockn’roll. Johnny Depp, selbst Kultfigur, sieht in diesem Songschreiberteam (hier ein gespieltes Interview zwischen  Lanzmann & Dutronc)  mehr als eine poptaugliche Chanson-Terrine und sagt: „Most of the songs written by Jacques Dutronc with Jacques Lanzmann are unbelievable. So ahead of their time. In 1966, the Rolling Stones were regarded as a dangerous, but when you listen nowadays to Stones songs of this era, it is clear that the association of Dutronc-Lanzmann was far more subversive. For me, Lanzmann and Dutronc were perhaps the first punks.” Und das stimmt soweit auch.

Das war aufrichtig gemeinte Kunst, die trotzdem rauh, lebendig und notfalls dreckig war. Das hat niemandem nachgeschielt und war nur sich selbst verpflichtet – etwas, das man sehr oft in guten Zweigespannen findet, wo sich jenes Maß an inspirierter Ernsthaftigkeit oder Clownerie, mit dem man miteinander umgeht, ganz automatisch überträgt in die Resultate.

Dutronc war nie ganz vergessen. Es gibt heute wunderbare Remixe (u.a  von Ursula 1000) seiner Songs und es gibt poppige Spuren durch alle Jahre, die doch immer irgendwie schmutzige Ränder haben.

Written by kapuzimann

Januar 22, 2010 at 8:15 am